“Wir können leider doch noch nicht starten mit der Einführung von Business Intelligence. Wir müssen jetzt erstmal unser ERP hinterfragen.” Ich bin mir relativ sicher, dass man mir nicht glauben würde, wenn ich preis gäbe, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Meistens glaube ich es ja selber nicht. Das immer gleiche Thema wird dabei in diversen netten Variationen aufgespielt – mir persönlich gefällt z.B. auch folgende sehr gut: “Ja, wir finden datengetriebenes Arbeiten auch total wichtig. Darum wird sich unser neuer Senior Executive Vice President of Digital kümmern, aber der ist mittelfristig schon total eingespannt in Projekten, weil er erstmal unsere bestehende Systemlandschaft hinterfragt. Wahrscheinlich werden wir unser ERP ersetzen.” Gute Güte, was läuft bloß schief im Handel, dass ständig derart viele ERPs hinterfragt werden müssen!? Zeit für eine Neuordnung der Prioritäten.
Wer immer nur die Operative optimiert, wird strategisch nie besser werden
Ja, operative Systeme sind wichtig. Sehr wichtig sogar. Immerhin laufen gerade über eCommerce-Plattformen oder eben ERP-Systeme die Kernprozesse des gesamten Unternehmens. Das Problem ist nur, dass man sich sehr lange damit aufhalten kann, an jenen Prozessen oder ganzen Systemen ewig herumzuschrauben, ohne dabei signifikant mehr Wertschöpfung zu evozieren. Und leider ist es mit der Herumschrauberei auch nicht getan – sie ist lediglich der Beginn einer unglücklichen Kausalkette, denn wer sich als Unternehmen im ewigen Rad der Systemoptimierung gefangen hält, wird nie Zeit und Ressourcen haben, in Sachen Tech-Strategie die wirklich wichtigen Schritte zu gehen, die dem Unternehmen ganz neue Räume der Wertschöpfung eröffnen und so zu echten Game-Changern werden können. Eines dieser Themen, die der operativen Systemoptimiererei wieder und wieder zum Opfer fallen, ist Business Intelligence – bzw. die strategische Weichenstellung hin zu einer datengetriebenen Arbeitskultur.
Business Intelligence ist nicht das i-Tüpfelchen, sondern das i selbst
Zugegeben, das war nicht immer so. In Zeiten, als Erfolg im Handel noch ein Selbstläufer war, als die Innenstädte vor kaufwilligen Kunden nur so aus den Nähten platzten und man online nur irgendwas mit einem “Kaufen”-Button versehen musste, um tonnenweise Umsatz zu generieren, waren BI, Analytics, Reporting, datengetriebene Entscheidungsfindung und alles, was dazugehört, ein netter Bonus. Das Geld kam auch rein, ohne dass man sich großartig mit Zahlen beschäftigen musste (abgesehen vom regelmäßigen Checken des zuverlässig wachsenden Kontostands). Diese Welt gibt es aber leider nicht mehr, das wissen wir doch eigentlich alle. Wer heute im Handel erfolgreich sein will, muss sich eine schlaue Strategie überlegen, wie er sich günstig positionieren, Kundenzugang sichern, bestehende Kunden binden und insgesamt maximal ressourceneffizienz operieren kann – und das funktioniert keineswegs mehr nach Bauchgefühl. Es braucht Zahlen, harte Fakten, rationale Schlussfolgerungen aus bestehender Information, sprich: eine datengetriebene Arbeitskultur auf allen Ebenen. Das ehemalige i-Tüpfelchen wurde deshalb vor einigen Jahren schon zum i selbst, eigentlich sollte der Leitsatz jedes Händlers heute lauten: Ganzheitliche Dateninfrastruktur first, darauf aufbauend datengetriebene operative Prozesse. Leider manifestiert sich diese Erkenntnis in den Köpfen der Entscheider aber nur sehr, sehr langsam, sodass immer noch haufenweise voll funktionstüchtige ERPs hinterfragt (und in der Folge meist auch ersetzt) werden, bevor das eigentlich so wichtige Thema BI und datengetriebene Arbeitskultur die Aufmerksamkeit bekommt, die es haben sollte (wenn das denn überhaupt passiert).
Die Prioritäten müssen neu geordnet werden
Ich möchte nochmal in aller Deutlichkeit wiederholen, was im vorigen Absatz womöglich nicht hinreichend zum Tragen gekommen ist: Eine ganzheitliche Dateninfrastruktur, die eine unternehmensweite datengetriebene Arbeitskultur ermöglicht, sollte heute das Fundament jeder Organisation bilden und somit auf der Prioritätenliste einen der obersten Plätze einnehmen. Sprich: Eine ganzheitliche Datenbasis, die die Daten aller operativen Systeme zusammenbringt und diese konsolidiert zurück in die Operative spielt – an die Systeme sowie an ihre Nutzer. Nur mit einer auf diese Weise vernetzten Infrastruktur wird eine so zielführende Steuerung möglich, wie sie der heutige Markt erfordert.
Natürlich gehört dazu letztendlich nicht nur das datengetriebene Enablement der Operativen, sondern genauso der strategischen Führung, doch wenn die ganzheitliche Dateninfrastruktur erstmal steht, ist es de facto das geringste Problem, dem Management die Reports und Analysen auszuspucken, die es zu seiner Entscheidungsfindung benötigt. Ich kann es nur nochmal betonen: Dateninfrastruktur first! Auf dieser Basis kann dann optimiert und ersetzt werden, wonach auch immer der Sinn gerade steht. Eine gut konstruierte Dateninfrastruktur hat keinerlei Probleme damit, wenn hier und da bestehende Einzelsysteme ausgetauscht werden – im Gegenteil: Sie sollte auf die agile Weiterentwicklung des großen Ganzen sogar explizit ausgelegt sein.
Wie man vielleicht merkt, war es mir ein Anliegen, diesen Sachverhalt mal zu formulieren – zu bitter ist es, zuzusehen, wie Unternehmen regelmäßig in dieselbe Falle tappen. Und wo wir gerade von Fallen sprechen: Die nächste wäre die Frage nach dem “Make or Buy”, die bis heute von (aus meiner Sicht) immer noch viel zu vielen Unternehmen recht unhinterfragt mit “Make!” beantwortet wird – eine in vielen Fällen fatale Entscheidung. Als Lektüre zum Thema empfehle ich meinen Artikel “‘Make or Buy’ in der BI? Die Wahrheit ist, ‘Buy’ bringt Dir die bessere Lösung – schneller und billiger”.
Kennst Du die Problematik auch und würdest Dich gerne mal persönlich dazu austauschen? Ich freue mich wie immer über Nachrichten an lennard@minubo.com.